Verlag Morascha

Was bedeutet es, Jude zu sein?



Am 6. und 7. Siwan feiern wir Juden das Fest unserer Gesetzgebung und den Erhalt der Tora, der jüdischen Bibel. Aber was sind die Symbole dieses Festes? Alle jüdischen Feste kennen eine reiche Palette von Symbolen, die das jeweilige Fest schmücken, definieren und kennzeichnen. Pessach hat seine Mazzot, das ungesäuerte Brot. Sukkot, das Laubhüttenfest, kennt die Hütte und den Lullaw, den Palmzweig. Rosch Haschana zeigt sich mit dem Schofarhorn, Jom Kippur ist vom Fasten geprägt. Nur Schawuot, das Fest der Tora, kennt kein solches Symbol.

Schawuot ist ein lautloser und stiller Tag. Rabbiner Hirsch erklärt in seinen Schriften, dass die Tora keine Religion, keine Theologie und kein Kultus ist. Die Tora ist der Same, den Gott in den Schoß des Volkes Israel gelegt hat und aus dem alles Leben erblühen wird. Wenn wir die Tora, deren Offenbarung wir an Schawuot feiern, erheben und ihr zujubeln und ausrufen: «Dies ist die Tora, welche Mosche vor das Volk Israel brachte…» dann würdigen wir dieses Geschenk Gottes. Dafür braucht es kein weiteres Symbol. Die Tora allein ist genug.

Wie kann ein Gleichgewicht zwischen dem Glauben und der Modernität entstehen?

In unserem Alltag tragen wir die Lehren von Schawuot weiter nach dem von Hirsch vertretenen Grundsatz «Tora im Derech Erez ». Tora mit dem Weg des Landes ist ein in der rabbinischen Literatur gebräuchlicher Ausdruck, der auf verschiedene Aspekte der Interaktion mit der Welt verweist. Außerdem bezieht sich die Aussage auch auf eine grundlegende Philosophie des orthodoxen Judentums, die von Rabbi Samson Raphael Hirsch (1808–1888) formuliert wurde und die eine Beziehung zwischen dem traditionell gläubigen Judentum und der modernen Welt formalisiert. Manche bezeichnen diesen Weg auch als Neo-Orthodoxie.

Rabbiner Samson Raphael Hirsch hat das moderne jüdische Denken bis heute tief geprägt. Dies kommt besonders in der Orthodoxie zum Ausdruck. Seine berühmte Philosophie ist unter dem Namen Tora im Derech Erez bekannt. Tora im Derech Erez bedeutet, dass die Lehren der Tora in jeder Situation befolgt werden müssen, auch oder gerade inmitten des Wandels der Zeiten. So entsteht eine harmonische Einheit zwischen den biblischen Gesetzen und der Entwicklung der Welt. Für Hirsch ist dies das einzig wahre Prinzip, das zu Wahrheit und Frieden, zu Heilung und Befreiung von allem Leid und religiöser Verwirrung führt. Er bezieht keine Stellung und vertritt die überlieferte Weisheit unserer Gelehrten.

Wo finden wir den Satz Tora im Derech Erez zum ersten Mal?

Der Satz Tora im Derech Erez findet sich zum ersten Mal in der Mischna im Traktat Avoth (2,2): „Schön ist das Studium der Tora mit Derech Erez, denn die Beschäftigung mit beiden lässt einen die Sünde vergessen.“ Der Begriff Derech Erez, wörtlich „der Weg des Landes“, ist von Natur aus mehrdeutig und hat in der rabbinischen Literatur eine breite Palette von Bedeutungen, die sich unter anderem auf das Verdienen des Lebensunterhaltes und das angemessene Verhalten beziehen.

Als Hirsch 1851 zum ersten Mal nach Frankfurt kam, proklamierte er im Derech Eretz die Tora als „Banner“ seiner Gemeinde, der Israelitischen Religionsgesellschaft. Wie man sieht, war Hirsch nicht der Einzige, der Derech Eretz um ein breites Wissen über die säkulare Welt erweiterte. Seine Rolle bestand vielmehr darin, eine Philosophie des Derech Erez zu formalisieren, die eine praktische Antwort auf die Moderne enthielt.

Derech Erez bezieht sich nach Hirsch nicht nur auf den Lebensunterhalt, sondern auch auf die soziale Ordnung mit den damit verbundenen Sitten und Vorstellungen von Höflichkeit und Anstand sowie auf die allgemeine Bildung. Hirsch entwickelte daher das Konzept von Derech Erez, um die westliche Kultur zu umfassen und gleichzeitig das jüdische Gesetz strikt einzuhalten.

Judentum ist mehr als nur ein Glaube, es ist ein Lebensweg!

Das Judentum ist nicht nur ein Anhängsel des Lebens: Es umfasst das ganze Leben. Jude zu sein ist nicht nur ein Teil, es ist die Summe unserer Lebensaufgabe. Jude zu sein in der Synagoge und in der Küche, auf dem Feld und im Lager, im Büro und auf der Kanzel … mit der Nadel und dem Gravierwerkzeug, mit der Feder und dem Meißel – das ist es, was es heißt, Jude zu sein.

Hirsch gilt als großer Denker und Erzieher. Er ist eine bedeutende historische Figur, die sich mit viel Engagement und Herzblut für das Weiterbestehen des traditionellen Judentums einsetzte. Er begründete eine hochentwickelte philosophische Basis des orthodoxen Judentums.


Kennen Sie die Schriften dieses bedeutenden Rabbiners?

Der Tora-Kommentar von Rabbi Hirsch – der Hirsch Chumasch – ist in die Riege der klassischen Tora-Exegesen aufgestiegen. Seine tiefgründige Sprachanalyse des Laschon Hakodesch – des biblischen Hebräisch – führt nahtlos zum Textverständnis – dem Pschat, der einfachen Erklärung. Der von Rabbiner Hirsch gewählte Ansatz ist nach seinen eigenen Worten «den biblischen Text aus sich selbst heraus zu erklären». Die Erklärung der Halacha wird direkt aus dem biblischen Text abgeleitet. So wie er dann in der mündlichen Lehre wiedergegeben wurde. Rabbiner Hirsch verbindet die zeitlosen Lehren unserer Vorfahren mit der Geschichte des jüdischen Volkes und offenbart die Gesetze der Tora als verbindliches Regelwerk für jeden Juden in jeder denkbaren Situation. Hirsch vergleicht die beiden Formen mit Vorlesungsmitschriften. Die knappen Sätze der Mitschriften enthalten oft nur einen Hinweis auf den Lehrstoff der Vorlesung. Einem Leser, der nicht an der Vorlesung teilgenommen hat, erschließt sich die volle Bedeutung der Mitschriften nicht. Auf der anderen Seite ermöglichen es die Notizen, den gelernten Stoff zu verstehen. Beides ist für die korrekte Weitergabe der jüdischen Gesetze notwendig. Der mündliche Unterricht – die Notizen – und der schriftliche Unterricht – die Vorlesung – bilden eine Einheit.

Rabbi Hirsch setzte sich sehr für den Aufbau seiner Schule ein, der sogenannten Hirsch-Realschule. Diese wurde zum Vorbild für die späteren jüdischen Tages- und Mittelschulen, wie wir sie in vielen Ländern kennen. In seinen Schriften – «Die Neunzehn Briefe des Ben Usiel» https://morascha.ch/produkt/die-neunzehn-briefe/ und «Chorew» https://morascha.ch/produkt/chorew-versuch-ueber-jisraels-pflichten-in-der-zerstoerung/ – versuchte er, den Jugendlichen ein tieferes Verständnis für die Bedeutung des Tora Studiums und der Einhaltung der Gebote zu vermitteln. Hirsch legte großen Wert auf das Erlernen der biblischen Texte. Er verlangte von seinen Schülern eine gründliche Kenntnis der hebräischen Sprache. Wir müssen die Originaltexte mit wachen Augen und Ohren und mit einem selbständigen Geist lesen.

Zahlreiche Schriften von Rabbiner Samson Raphael Hirsch finden Sie in unserem Verlag. Scheuen Sie sich nicht und entdecken Sie die Schriften dieses grossen Gelehrten.

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