Verlag Morascha

Tanzende Kinder und flatternde Fähnchen: Simchat Tora durch Kinderaugen und heute

Ana Haschem hoschia na!
Ana Haschem hazlicha na!
Ana Haschem anenu be jom korenu!

Bitte Ewiger, hilf doch!
Bitte, Ewiger, lass es gelingen!
Bitte, Ewiger, antworte uns am Tag, da wir rufen!

Als junges Mädchen von ungefähr 10 Jahren besuchte ich meinen ersten Simchat Tora Gottesdienst. An diesem Tag ist die wichtigste Mizwa, das wichtigste Gebot, sich an der Tora zu erfreuen. Das jüdische Volk erhielt die Tora, die fünf Bücher Moses, am Berg Sinai. Was für ein besonderer Festtag, an dem wir uns über das heiligste und höchste Geschenk Gottes freuen.

Gespannt und neugierig fieberte ich dem Besuch in der Synagoge entgegen. Was würde mich dort erwarten? Wie gestaltet man einen solchen fröhlichen Gottesdienst?

Aufgeregt hüpfte ich meinen Grosseltern davon, um möglichst schnell in der Synagoge zu sein. Ich öffnete die Türe und wartete dann doch auf meinen Grossvater. Das Gotteshaus war bis auf den letzten Platz gefüllt und die Menschen trugen genau wie an den vorhergegangenen Feiertagen schöne und festliche Kleider. Man fühlte die Freude und die Erwartungen der Anwesenden. Zuerst fand der gewohnte feierliche Abendgottesdienst statt. Doch auf einmal spürte ich etwas ganz Besonderes. Es wurden nicht die üblichen Schlussgebete gesagt. Nein, plötzlich versammelten sich alle Kinder vor der Synagoge und tanzten, angeführt von einem Jugendlichen, mit lautem Gesang den Synagogengang herunter. Jedes Kind hatte eine kleine Fahne in der Hand. Alle sangen und strahlten vor Freude.

Der Tanz mit den Thorarollen: Herzstück von Simchat Tora

Zu Simchat Tora werden am Abend und am nächsten Morgen alle Thorarollen aus dem Toraschrank genommen und es wird mit diesen in der Synagoge getanzt. Es wird gesungen und es herrscht Jubel, Trubel und Heiterkeit. Über sieben Runden hinweg wird zum Tanz jedes Mal ein anderes Lied angestimmt.

Beim ersten Umzug singt man aus den Tehillim/Psalm 118 Vers 25

Bitte Ewiger, hilf doch!
Bitte, Ewiger, lass es gelingen!
Bitte, Ewiger, antworte uns am Tag, da wir rufen!

Das ist der Ruf der Israeliten. Sie haben endlich erkannt, dass sie nur von Gott wahres Heil zu erwarten haben, und richten ihre verlangende Bitte an den Ewigen. Doppelt ist aber das von uns erhoffte Heil. Hoschea – hilf doch bedeutet mehr das persönliche ungeschwächte Sein und Hazlicha – lass es gelingen, das ungehinderte Gelingen allen Schaffens und Wirkens. Um beides bitten wir Gott.

Aus Sefer Tehillim – Hirsch Psalmen

Die kleine Fahne – ein Schatz für das Kinderzimmer

Simchat Tora – was für ein herrlicher Feiertag! Die Tora gehört jedem jüdischen Menschen, auch den Kindern. Sie wurde uns von Gott gegeben und wird für immer uns gehören!

Berauscht von der Freude und Ausgelassenheit und mit vielen neuen Eindrücken kehre ich an der Hand meiner Grosseltern nach Hause zurück. Auch ich erhielt damals eine kleine Fahne. Sie war aus Karton und mit farbigen Zeichnungen geschmückt. In der Mitte hatte sie ein Fensterchen, welches ich sorgfältig öffnete. Dort stand in hebräischer Sprache der Vers, den wir in der Synagoge so schön gesungen hatten «Bitte Ewiger, hilf doch! Bitte, Ewiger lass es gelingen!».

Meine Freude und mein Stolz waren groß. Genau wie die älteren Kinder durfte auch ich eine solche Fahne mitnehmen. Ich schwor mir, diese Kostbarkeit gut aufzubewahren und für immer zu behalten. Als ich zu Hause ankam, hängte ich mit kindlicher Begeisterung diese Erinnerung über mein Bett. Und dort blieb die kleine Fahne. Jeden Morgen, bevor ich mein Zimmer verliess und jeden Abend, bevor ich ins Bett schlüpfte, ruhten meine Augen auf ihr und ich gedachte der wunderbaren Stimmung und Freude, die ich an Simchat Tora spürte. Es stieg eine Ruhe, eine Sicherheit und ein Vertrauen in mir hoch.

Bitte Ewiger, hilf doch!
Bitte, Ewiger, lass es gelingen!
Bitte, Ewiger, antworte uns am Tag, da wir rufen!

Wie weiter? Simchat Tora heute

Und auch jetzt, ein Jahr nach dem schrecklichen Massaker an 1200 Juden an Simchat Tora, sollen wir Juden uns diesen Vers vor Augen führen. Nur wenn wir mit ganzem Herzen daran glauben und das Gebot der Tora Freude leben, kann unsere Bitte in Erfüllung gehen.

Ich denke immer wieder an das Zitat aus einer jüdischen Zeitung, worin ein aus dem Krieg zurückkehrenden Soldaten sagte: «Ich werde in jedem Zimmer von unserer Wohnung ein Bild vom heiligen Tempel in Jerusalem aufhängen. Nur wenn wir Juden uns täglich vor Augen halten, wofür Israel steht und was unser Ziel ist, werden wir es auch erreichen.»

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