Verlag Morascha

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Warum dies auch für Hunde gilt.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie es möglich war, dass in der Nacht als die erstgeborenen Kinder der Ägypter starben, kein Laut zu hören war. Es herrschte absolute Stille. Kein Hund bellte, während der Engel des Todes durch die Strassen zog.

Das jüdische Pessachfest erinnert an die Befreiung der Kinder Israels aus der Sklaverei in Ägypten. Es ist die Geschichte einer wundersamen Befreiung aus der ägyptischen Unterdrückung. Dieser Befreiung gehen zehn Plagen voraus, die die beiden Brüder Aron und Mosche dem Pharao ankündigen. Am ersten und zweiten Pessachabend werden die Ereignisse erzählt und nacherlebt. Der Ablauf des sogenannten Sederabends folgt einer bestimmten Reihenfolge. Diese 15 Stationen sind in der Haggada aufgelistet:

Kadesch: Segnung des Weins.
Urchaz: rituelles Waschen der Hände.
Karpas: Eintauchen von Gemüse in Salzwasser.
Jachaz: Zerbrechen der mittleren der 3 Mazzen.
Magid: Erzählen der Befreiungsgeschichte.
Rachza: Waschen der Hände vor dem Genuss der Mazza.
Mozi: Sprechen des Segensspruches vor dem Genuss der Mazza.
Maror: Verzehr von Bitterkraut.
Korech: Essen von Bitterkraut zusammen mit Mazza.
Schulchan Orech: Genuss der festlichen Mahlzeit.
Zafun: Essen des vorher «gestohlenen» Afikomans (ein Teil der zerbrochenen mittleren Mazza).
Barech: Sprechen des Tischgebets.
Hallel: Singen der Lobenspsalmen.
Nirza: abschliessende Gesänge.

Der Afikoman gehört zu Zafun. Zafun bedeutet wörtlich „verstecken“. Die Hälfte der Mazze, die man zur Seite gelegt hat, wird hervorgeholt und jeder bekommt ein Stück, sozusagen als „Nachtisch“ vor dem Dankesgebet. Es ist Brauch, dass der Afikoman von den Kindern „gestohlen“ wird. Die Person, die den Seder gibt, muss ihn dann zurückerobern.

Aber wie ist es möglich, dass der Afikoman überhaupt gestohlen werden kann? Er kann nur dort entwendet werden, wo die Wachhunde schlafen oder ruhig sind. Dann kann sich der Dieb ungestört umsehen und wertvolle Dinge stehlen.

Und genau eine solche Situation finden wir in der Pessach-Geschichte. In der Tora, Sefer Schmot (2. Buch Mose) in Kapitel 11, Satz 7 steht ein merkwürdiger Vers:

«Allen Kindern Israel aber, vom Menschen bis zum Vieh, wird kein Hund seine Zunge regen, damit ihr erkennt, dass Gott wunderbar unterscheidet zwischen Ägypten und Israel.»

Dieser Satz ist die Einleitung zur 10. Plage – dem Tod der Erstgeborenen in Ägypten, der dann die Erlösung des jüdischen Volkes zur Folge hatte. Hier erklärt Mosche Pharao die letzte Plage und erwähnt am Ende, dass beim Auszug der Juden aus Ägypten sogar die Hunde schweigen werden. Normalerweise würden die Hunde bellen. Aber hier ist das Fehlen des Bellens ein Zeichen des Schutzes vor dem Tod.

Charez wird mit dem Wort spitzen übersetzt. Es bedeutet auch: der die Schwierigkeiten überwindende emsige Fleiss. Kein Hund wird seine sonst so fleissige Zunge in Bewegung setzen. Bis zum Tier hinab wird niemand Israel etwas antun, nicht einmal eine – wenn auch hilflose – feindselige Regung, wie das Bellen eines Hundes, wird sich gegen sie regen. Bis hinunter zum Tier wird alles von stiller Ehrfurcht vor dem jüdischen Volk erfüllt sein.

Unsere Weisen haben viel über die Bedeutung dieses Unterschieds geschrieben, aber hier ist ein anderer Aspekt interessant: Die Hunde sollen für ihr Schweigen belohnt werden! So gebietet die Tora, unkoscher gewordenes Fleisch nicht wegzuwerfen, sondern den Hunden zu geben. Wenn die Tora über das Verbot spricht, auf dem Feld gerissenes Fleisch zu essen, schlägt der Talmud vor, dieses Fleisch den Hunden zu geben. Das ist die Belohnung für das Schweigen damals in Ägypten. Rambam betont, dass Hunde ihre Belohnung in dieser Welt erhalten und nicht in der kommenden. Raschi erklärt dazu, dass dies eben die Belohnung für das Schweigen war. Auch das gehört für mich zu Pessach dazu!

Weitere Gedanken zum Thema Pessach finden sie in unserem Bestseller „Jüdisches Leben“ von Rabbiner Chaim Halevy Donin.